Das «Richmond Mural Project» versammelt namhafte Street-Artisten aus der ganzen Welt – und zwei aus der Schweiz. Maler Onur Dinc über Spitzen-Basketball, weisse Wände und die Dünkel der Schweizer Kunstszene.
Onur Dinc, Sie sind soeben aus Übersee zurückgekehrt. Sie und Remo Lienhard alias Wes21 waren als erste Schweizer zum Kunstfestival «Richmond Mural Project» in Virginias Hauptstadt eingeladen. Wie kamen Sie zu der Ehre?
ONUR DINC: Das war überraschend. Ich hatte das Festival schon seit der ersten Ausgabe vor zwei Jahren mit Interesse mitverfolgt: Die ganze Stadt mutiert zur Galerie, über 40 Wände stehen namhaften Künstlern zur Verfügung. Remo und mir kam zugute, dass wir letztes Jahr ein Wandbild am Abrisshaus und Graffiti-Mekka 5Pointz Aerosol Art Center in New York platzieren konnten, das sorgte für viel Aufmerksamkeit. Der Organisator des Richmond Mural Projects wollte dann auch so eins haben – und lud uns ein. Ich fühlte mich wie im falschen Film. Das ist, als würde man in der Schweiz Basketball in einem Regionalclub spielen und dann in die NBA eingekauft werden.
Wie haben Sie sichergestellt, dass Sie neben diesen Grössen nicht untergehen?
Neben Robert Proch, Ron English oder David Flores waren wir die Underdogs, ganz klar. Also haben Remo und ich uns auf gut schweizerische Art vorbereitet: Wir haben uns etwa sehr lange über das Sujet Gedanken gemacht. Wir wollten etwas schaffen, hinter dem wir auch nach drei Jahren noch stehen können. Es sollte nicht zur schön aussehen, sondern einen Bezug zum Land haben und zum Denken anregen.
Ihr Sujet zeigt einen Hybriden zwischen Fliege und Kamera – «big brother is watching you»?
Eigentlich gebe ich nicht gerne Interpretationen vor, doch diesen Aspekt enthält unsere Fliege auch. Sie spielt aber auch auf den Medienzirkus an: Eine Mistfliege wird von jedem Scheissdreck magisch angezogen. In Amerika ist das besonders krass. Da hast du 280 Sender zur Auswahl, und jeder bietet seine eigene Art der Gehirnwäsche. An einem Abend in Richmond schauten wir fern am Hotel-TV, bei einer Sendung namens «Radical Muslims on the March» – «Radikale Muslime auf dem Vormarsch» blieben wir hängen. Das war die pure Angstmache, nur dazu geeignet, wütende Kommentarschreiber auf Online-Portalen mit Scheinargumenten auszustatten.
Sie waren während zwei Wochen in Richmond. Wie sah ihr Tagesablauf aus?
Zuerst mal musste man sich darauf einstellen, einen Tag lang vor einer Steinmauer in der Sonne zu stehen. Die Einheimischen sprachen von jenseitigen «100 Degrees Fahrenheit» – also etwa 38 Grad Celsius. Glücklicherweise hatten wir einen kleinen Fan, einen 13-jährigen Jungen mit Skizzenbuch unter dem Arm, der uns täglich mit Wasser versorgte und damit vor der Dehydration bewahrte. Dann malten wir, mit Pinseln, dem Farbroller und mit Sprühdosen, bis es eindunkelte oder sich einer der Anwohner über das laute Sirren unserer Scheinwerfer beschwerte.
Erzählen Sie etwas über die Wand – hat man die Schweizer Newcomer mit der Rückseite einer Garage abgespeist?
Ganz und gar nicht, aber ich habe vor dem Anlass im Mailkontakt mit dem Organisator auch dafür gesorgt, dass wir eine gute Wand kriegten. Denn Remo und ich können mit dem Farbroller schlecht auf Backstein malen. Wir waren dann sehr zufrieden: Es ist eine Etwa 40 mal 10 Meter grosse Wand im Kunstviertel, gut exponiert, mitten im Getümmel. Aber klar: Hätte Übermeister Robert Proch diese Wand haben wollen, hätten Remo und ich wohl schlechte Karten gehabt.
Die anderen Künster stammten aus Polen, Mexiko, Australien, den USA – welchen Ruf hat die Schweizer Szene im internationalen Urban-Art-Zirkus?
Eigentlich gar keinen. Denn die «Mural»-Szene, so nennen die Amerikaner die grossformatigen Freiluft-Wandbilder, gibt es als solche bei uns noch nicht wirklich. Natürlich kennen die Sprayer unter den Künstlern noch grosse Schweizer Namen von früher, etwa Toast oder Smash, aber damit hat es sich dann auch. Polen etwa hat die Schweiz längst mächtig überflügelt. Aber da gehen die Städte auch viel freigiebiger mit den Wänden um. Sie wollen, dass sie verziert werden.
In der Schweiz ist das anders?
Natürlich gibt es hie und da Initiativen, aber die sind sehr selten. Um in meiner Wohnstadt Solothurn oder in der Stadt Bern in zwei Jahren eine Wand bemalen zu dürfen, müsste ich wohl jetzt langsam mal einen Antrag stellen. Für eine Wand in New York hingegen bräuchte ich nur den Hörer in die Hand zu nehmen, nächste Woche hätte ich mit Sicherheit eine Fläche.
Wenn das Tiefbauamt der Stadt Bern jetzt bei Ihnen anriefe und es hiesse: «Herr Dinc, wir stellen Ihnen in der Muesmatt eine Haushälfte zur Verfügung», dann würden Sie zusagen? Aber sofort! Ich glaube nur nicht daran. Kontemporäre, geförderte Kunst in der Schweiz geht momentan so: Man klebt einen Raum mit Plastikfolie ab und stellt einen Gummistiefel in die Mitte. Dann stehen die Leute mit Cüpli rundherum und diskutieren eine Vernissage lang darüber. Im Gegenzug wird die «Mural»- und Graffiti-Kunst oftmals mit Vandalismus in Verbindung gebracht.
Sie klingen frustriert.
Ist doch wahr. Die Kunst mit Handwerkseinschlag, die ich mache, hat einen schweren Stand. Das Label Street Art hat da auch nicht direkt geholfen – das Genre ist nicht akzeptiert. Ich bewerbe mich schon gar nicht mehr um Stipendien, das fruchtet nicht. Und wie oft ich beim Kunstmuseum Solothurn abgeblitzt bin, mag ich gar nicht zählen. Erst als Heinrich Gartentor letztes Jahr eine Schau mit diversen Künstlern im Museum veranstaltete, öffnete sich die Tür auch für mich.
Vielleicht müssen Sie das Terrain wechseln – und nach England oder in die USA gehen. Ihre Werke wurden von der BBC oder der New York Times zumindest sehr wohlwollend besprochen.
Natürlich macht es Spass, wenn die internationale Karriere langsam in Fahrt kommt. Demnächst fahre ich mit dem Künstlerkollektiv Schwarzmaler nach München, nachher steht ein Kunstfestival in Athen an. Aber trotzdem: Ich fände es schön, wenn die Schweiz auch langsam mal auf den Geschmack käme. Die Städte sehen farbig einfach besser aus.