Von gestern oder für morgen? Der Berner Maler Serge Nyfeler springt in seiner Ausstellung bei Rigassi/Soon vor und zurück, um in der Gegenwart anzukommen.
Ein «Impressionist des Heute» wolle er sein, sagt Serge Nyfeler über sich. Was heisst das? Wenn es sich die historischen Impressionisten zur Aufgabe machten, der Realität näherzukommen, indem sie Atmosphäre und Licht einfingen, und zwar mithilfe der Farben, dann ist Nyfeler vielleicht ein Maler, der sich um das Licht der Gegenwart kümmert: das künstliche Licht.
Zwar malte der Impressionist Camille Pissaro den Pariser Boulevard Montmartre bereits 1897 hell erleuchtet von Schaufenstern und Strassenlaternen – ab 1887 wurde Paris elektrisch beleuchtet –, doch die Gegenwart ist einen Schritt weiter. Das Licht, das heute die Welt erhellt, ist dasjenige der Bildschirme. Es entsteht aus Kathoden, Kristallen und Dioden, ist gestochen scharf und doch nichts als eine unsichtbar schnell flackernde Unschärfe, es leuchtet von Farben, ist aber doch eiskalt.
Zum Beispiel das auffällige und schon an der Eröffnung von Nyfelers neuer Ausstellung in der Galerie Soon verkaufte Bild «Jardin»: En plein air entstanden – auch das ein Erbe der Impressionisten, die dank industrieller Tubenfarben ausserhalb des Ateliers malen konnten –, scheint es doch artifiziell. Nyfeler malte es in der Dämmerung, und als er nichts mehr sah, beleuchtete er die Leinwand mit einer LED-Fahrradlampe, die dem Gemälde einen ziemlichen Blaustich mitgab.
Das sind die Natureindrücke von heute. Nyfeler fängt sie mit einem impressionistischen Pinselduktus ein, vibrierende, schnelle, kurze Linien, Kommata ähnlich. Wie in «Modified Weather», das eine windbewegte Landschaft in eine psychedelisch anmutende Farbverzerrung übergehen lässt. Aus dem malerischen Augenblick ist ein Störbild geworden.
Spiel mit der Kunstgeschichte
Serge Nyfeler kam 1963 im Bündnerland zur Welt, wuchs in Paris auf, lebte in den bewegten 80er-Jahren in Zürich, dann auch auf einem kleinen Château in Justiniac und in Bern. In der Matte betrieb er einige Jahre lang einen inoffiziellen Ableger des Museum of Modern Art. Der Mann nimmt es mit der Kunstgeschichte auf.
In «Hijack Bonnard» konkret mit dem Interieur-Maler Pierre Bonnard, der allerdings schon zu den Post-Impressionisten gezählt wird. Eine Tischszene, eine Familie wohl beim Essen, der Blick des Kindes im Vordergrund auf eine nichtige weisse Fläche gerichtet, dahinter ebenfalls: nichts. Das Kind hat einen kleinen Bildschirm in der Hand, auf den es seine ganze Aufmerksamkeit lenkt und der eine Leerstelle in die soziale Wirklichkeit reisst, einen Blickschatten, in dem nichts existiert und darstellbar ist.
Dieses Kind «investiert sich», wie Nyfeler sagt, in etwas anderes. Ein Spiel wohl in erster Linie, in zweiter aber in eine künstliche Intelligenz, die gerade irgendwo entsteht und die vielleicht das Zusammenleben aller Menschen verändern wird, nicht allein dasjenige einer Familie bei Tisch. Neben dem künstlerischen Duktus, den Nyfeler in der Vergangenheit abschaut, will er inhaltlich etwas über die Gegenwart erzählen.
Nyfeler legt durch die meisten seiner Bilder klassische Horizonte, sie trennen aber nicht immer Himmel und Erde, sondern jene Teile des Bildes, die sich verstehen lassen, und jene, in denen sich das Auge verliert. Architektur, Figurenszenen oder Landschaften auf der einen, einfache, ungegenständliche Formen auf der andern Seite. «Versklavte Pflanzen und dressierte Natur» nennt Nyfeler diese Linienansammlungen.
Es könnten aber genauso gut Bildschirme sein oder molekulare Strukturen. Hier übernehme die reine Bewegung des Malens die Kontrolle, sagt Nyfeler, auch das eine Geste der Moderne natürlich. Das kann so weit gehen, dass, wie im Bild «Suggestion», die Kringel alles überwuchern und das Gemälde nur noch aus Linien- und Farbverläufen besteht.
Lebende Avatare
Vielleicht läge darunter eine der seltsamen Szenen, wie sie Nyfeler meistens inszeniert, plakativ und doch mit erzählerischer Raffinesse. Seine Figuren sind die lebenden Avatare der Medien-, der Bildschirmwelt. Er stellt vertraute Fremde zueinander, wie in Manets «Frühstück im Grünen», das er bei anderer Gelegenheit auch schon zitiert hat, mit geheimnisvoll libidinöser Verbindung zueinander und doch nur für die Wirkung des Bildes da.
Dann wiederum entfernt Nyfeler die Spuren des Menschen ganz aus seinen Bildern, er lässt sie also gar nicht erscheinen, sondern umreisst sie nur, angedeutete oder klare Konturen. Und schwerlich liesse sich dann über sie – wie vielleicht über diesen Maler – mit Sicherheit sagen: Sind sie nicht mehr ganz oder sind sie noch nicht ganz da?
Serge Nyfeler: There’s no such thing as reality, Galerie Rigassi by Soon, bis 10. 12.