Dieses Bild kann man leasen – inklusive Vernissage

Helen Lagger, Berner Zeitung, Januar 21, 2021

Berner Ideen (17) Die Galerie Soon ist wegen Corona geschlossen - deshalb verleiht sie die Bilder.

Zum Beispiel jene des Malers Igor Taritas (33), dessen leer gefegte Städte perfekt zur Zeit passen.

 

Es ist Nacht und die Stadt ist leer. Nur die Lichter, die in manchen Häusern brennen, zeigen, dass da Menschen sind. Wie im Lockdown. Der kroatische Künstler Igor Taritaš malt seine leeren städtischen Ansichten jedoch seit Jahren, nicht erst seit der Pandemie. Nun passen sie zum Zeitgeist. Die Berner Galerie Soon wollte seine Bilder mit der Ausstellung «Night and Day» anlässlich des Galerienwochenendes präsentieren. Nach der Verschärfung der Massnahmen kann die Ausstellung allerdings nur online besichtigt werden. Doch die Galeristen Andrej Malogajski und Fabian Schmid haben sich etwas Besonderes einfallen lassen. «Leih dir ein Werk - wir liefern es inklusive ‹Vernissage› zu dir nach Hause», versprechen sie in ihrer Lockdown- Aktion, die per Newsletter an potenzielle Interessenten verschickt wurde. Man wählt ein Bild an, klickt auf «Bestellung anfragen», und schon bald wird das Werk inklusive eines Apéros geliefert. Für rund dreihundert Franken kann man etwa ein 110 x 100 cm grosses mit Acryl auf Holz gemaltes Bild von Igor Taritaš für dreissig Tage inklusive Lieferung und Abholung ausleihen. Jeder weitere Tag kostet vier Franken. «So viel wie ein Kaffee», sagt Fabian Schmid. Und wenn man sich in das Bild verliebt hat und es nicht mehr hergeben möchte? Es ist wie bei einem Leasing. «Wenn man das Werk kaufen will, wird der Betrag an den Kaufpreis angerechnet», so Schmid. Realismus wie bei Edward Hopper Igor Taritaš wurde 1987 in Pakrac in Kroatien geboren. Er lebt und arbeitet in Zagreb, wo er sein Studium an der Kunstakademie absolviert hat. Wir sprechen mit ihm per Skype und konfrontieren ihn mit der Ähnlichkeit, die seine Bilder mit dem grossen Amerikaner Edward Hopper (1882-1967) hätten. «Nighthawks» (1942), Hoppers einsame Nachteulen, ist längst Teil der Popkultur. «Ich mag Hopper, aber er ist keine direkte Inspiration für mich», sagt Taritaš. Er habe die Bilder des Amerikaners nicht im Kopf gehabt, als er angefangen habe zu malen. Es seien seine Lehrer an der Kunstschule gewesen, die ihn geprägt hätten. «Anfangs malte ich abstrakt und experimentierte mit Skulpturen», so der Künstler. Mit der Zeit habe ihn seine Faszination für die Dreidimensionalität zur figurativen Malerei geführt. Melancholisch und apokalyptisch Taritaš spielt mit Flächen, Farben und Reflexionen. In manchen Bildern werden Swimmingpools wie Spiegel eingesetzt. «Ich mische Realismus und Imagination», so der Künstler. Seine komplexen Kompositionen basieren teils auf selbst geschossenen Fotos, teils auf gefundenem Bildmaterial aus dem Internet. 

Wie geht es den Kunstschaffenden in seinem Land? «Kroatien wurde mitten in der Krise zusätzlich durch ein Erdbeben erschüttert. Es sind harte Zeiten», sagt der Künstler, der sich glücklich schätzt, als Kunstlehrer einen Brotjob zu haben. Doch das Düstere hat ihn schon vor der Pandemie umgetrieben. «Ich habe angefangen mit Gemälden, in denen es Tag ist. Später ist die Faszination für die Nacht dazugekommen.» Es herrsche eine besondere, melancholische Stimmung, die Farben und Lichter seien anders zu dieser Tageszeit, so Taritaš. Dabei ist die Nacht nicht Grau oder Schwarz in seinen Bildern. Vielmehr setzt sich die dargestellte Dunkelheit bei ihm aus zahlreichen verschiedenen Farben zusammen. Boxen mit Salami, Käse und Cüpli Dass es keine rein realistische Architektur ist, wird an den teils unmöglichen Perspektiven sichtbar. Manche Bauten treten regelrecht aus dem Bildraum heraus, als wollten sie die Betrachtenden anspringen, Pools ziehen sich in die Länge, und manche Tore oder Plätze erinnern an Bauelemente, wie man sie in Gemälden des Surrealisten Giorgio de Chirico (1888- 1978) findet. 

Vier Bilder von Taritaš wurden bei der Galerie Soon bisher bestellt. Drei davon sind laut Galerist Schmid bereits ausgeliefert. Boxen mit Prosecco, Käse und Salami werden den Kundinnen und Kunden bei der Übergabe ausgehändigt. «So ist eine kleine Vernissage unter Freunden oder im Familienkreis möglich», sagt Schmid. Gerade in anspruchsvollen Zeiten könne Kunst ein Fenster bieten, um dem Coronavirus für einen Augenblick zu entkommen.