Derzeit sind Arbeiten vom Maler Onur Dinc in der Ausstellung «Mannheim – Solothurn» im Kunstmuseum Solothurn zu sehen. Die Werke des türkischstämmigen Künstlers kokettieren oft mit Standortwechseln des Betrachters.
Clowns in Kittel und Krawatte starren mit leeren Augen von den Wänden des Kunstmuseums Solothurn. Onur Dinc ist den Clowns eigentlich freundlich gesinnt, wie er sagt. Doch in den oft grossformatigen Werken des 34jährigen Künstlers stehen sie als Symbol für gesellschaftliche Maskeraden, für Rollen, in die der Mensch im Alltag schlüpft, schlüpfen muss.
Dinc klappt den bemalten Flügel eines Fensterladens auf, davor der Clown mit dick aufgetragener Schminke, dahinter ein unmaskiertes Gesicht, melancholisch, aber echt. «Die Leute kommen ins Schwärmen, wenn Du als Maler von Deinem Arbeitsalltag erzählst, von den Reisen rund um die Welt.» Dinc, der von einem Kunstprojekt aus Lagos zurückgekehrt ist, erklärt: «Viele sind nicht glücklich bei dem, was sie tagsüber während acht Stunden tun, und tragen eine Maske.»
Bei Dinc sind die Fensterläden offen. Eine Maske tragen wollte er nie. Doch der Befreiungsschlag von gesellschaftlichen Erwartungen war für den Solothurner mit türkischen Wurzeln nicht einfach. Die Arbeiterfamilie, aus der er stammt, hatte die beruflichen Erwartungen an den Sohn anders angesetzt. «Als ich von meiner ersten Lehre zum Maler abends mit farbbekleckerter Latzhose nach Hause radelte, tuschelten die Nachbarn über mich.» Doch gezeichnet habe er sein Leben lang und so hat er sich von niemandem beirren lassen. Er erhielt die Möglichkeit, eine Lehre als Theatermaler in Solothurn anzuhängen; und später als Grafiker.
Durch eine Anstellung am Stadttheater Luzern bot sich ihm die Möglichkeit, in freien Stunden neue Ideen zu vertiefen. «Dass
ich es richtig mache, wurde mir 2008 bewusst.» An der damaligen «Jungkunst»Veranstaltung in Winterthur fanden seine Bilder reissenden Absatz. «Von der Kunst leben können – das war lange keine Option.» Doch auf einmal habe er die Anerkennung bekommen. Mittlerweile arbeitet Dinc selbstständig in einem Atelier in Derendingen und zieht Aufträge rund um den Globus, kommerzielle und nichtkommerzielle, an Land. Projekte in Berlin, Budapest, New York zieren seine Künstlerbiografie, viele Wände tragen weltweit seine Signatur.
Nur Solothurn ist davon ausgenommen. Hier kennt man Onur Dinc als Künstler, der im Umfeld der Kulturfabrik Kofmehl tätig ist. So auch mit dem grossformatigen «Camping»Sujet, welches die neue Lärmschutzwand ziert und welches er kürzlich zusammen mit fünf Freunden geschaffen hat. Doch Dinc winkt ab: «Das hier ist ein Spassprojekt und hat mit meiner sonstigen Kunst nichts zu tun.»
Nichtsdestotrotz würde sich der Künstler dieselbe regionale Wirkung auch für seine anderen «richtigen» Werke wünschen. Was etablierte Kunst sei und was Streetart, würden nicht die Betrachter beurteilen, sondern Galerien, Museen und die Medien, findet er. «Wenn der Hanspeter Blüemli malt und dies in der Zeitung hochgehypt wird, dann verkauft es sich auch gut.»
Einzig, ob ein Werk in einem Kunstmuseum hänge oder als Wandbild an der frischen Luft, mache den Unterschied aus. Dinc nimmt auch kein Blatt vor den Mund, wenn es um die örtliche Kunstszene geht: «Solothurn ist meine Heimat. Aber als kleine Stadt auch anfällig für Vetterliwirtschaft.» Am Anfang habe ihn die abweisende Haltung der hiesigen Kunstkreise gekränkt, gerade weil er vielerorts als «Onur Dinc aus Solothurn» bekannt sei, ausser hier. Dass er nun im Kunstmuseum seine Werke zeigt, ist eine Ausnahme und sei dem Thuner Gastkurator Heinrich Gartentor zu verdanken, dessen Ausstellung «Mannheim – Solothurn» noch bis 10. November zu sehen ist.
Bei Dinc entpuppt sich eine zunächst unscheinbare Schwarzfläche als eine filigran ausgearbeitete Berglandschaft. Dazu muss aber der Betrachter mehrfach seinen Blickwinkel wechseln, in die Hocke gehen, dann auf die Zehenspitzen. Dann erst zeigen sich die Berggipfel in all ihren, durch Farbglanz gearbeiteten, Strukturen.
Dinc, selbst Stadtmensch und Städtereisender, hat vor drei Jahren die Wanderleidenschaft entdeckt: «Aber um die Schönheit der Natur zu erkennen, musste auch ich die Perspektive wechseln.» Es erstaunt, dass sein Hauptinstrument ein Farbroller aus Schafwolle ist, mit dem er ungeahnt filigrane Strukturen schafft. Und trotz seiner Nähe zur Streetart: «Mit der Spraydose habe ich nie gearbeitet.» Und illegal sei er schon gar nie unterwegs gewesen.
Viel Symbolik steckt in Onurs Bildern, auch in den Papiercollagen, die er geschaffen hat. Aus zerstückelten Einzahlungsscheinen oder aus Zeitungsschnipseln entstehen Totenköpfe. «Steuererklärungen und Boulevardmedien, die können manchmal ‹tötelig› sein.» Seine Werke kokettieren oft mit dem Standortwechsel des Betrachters. Dies gilt auch für das weitestverbreitete seiner Werke: Die künstlerische Gestaltung des Albums «Gespaltene Persönlichkeit» der deutschen Musiker Cool Savas und Xavier Naidoo («Xavas») stammt aus Dincs Atelier. Ein Hologramm zeigt je nach Blickwinkel den Soulsänger oder den Rapper oder beide zusammen.
Dinc spricht nicht ohne Stolz von der PlatinScheibe, die er als Dank von den Künstlern erhalten hat. Sie steht für vieles, das er sich erkämpft hat. Doch wichtig ist ihm vor allem eines: «Heute komme ich ohne Nebenjobs aus. Und wenn ich die Miete zahlen kann, dann ist das schon alles, was ich brauche.»